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Die Reise nach Berlin

 

Als ich mit neun Jahren beschlossen hatte, meine Heimat für immer zu verlassen und in die Großstadt zu ziehen, hatte ich dir auf meinem Schreibtisch einen Zettel hinterlegt, auf den ich einige Worte geschrieben hatte, die dir helfen sollten, mich in guter Erinnerung zu behalten oder mich leichter zu vergessen. Auf dem Dachboden habe ich vor einigen Tagen jene Abschrift wiedergefunden, welche ich mir von meinem Abschiedsbrief gemacht hatte.

Damals schrieb ich dir folgende Zeilen:

Mutter, ich habe zu träumen verlernt! Die Wurzeln, die mir angelegt wurden, sind dem Mutterboden entwachsen und reichen nicht mehr tief genug, um mir aus dem Untergrund des Wesentlichen die Nährstoffe des Seins in die Verschiebbarkeit des Körperlichen zu befördern.

Deine Wolfsmilch habe ich aus einem schmutzigen Kanister getrunken. Ich habe dich rauchen und lachen sehen und geschwiegen und habe den hohlen Blättern der alten Akazie gelauscht, welche von den Zinnen der hohen hellbunten Häuser umstanden wurde. Manchmal habe ich sogar versucht, ein paar Schritte auf den Händen zu laufen, um zu überprüfen, an welchen Stellen die Erdwärme besonders groß sei und die Fußbodenheizung besonders überflüssig, weil sich dort das glänzende Futteral des Erdbodens wie von selbst über meine geöffneten Hirnhälften ergossen hätte.

Immer schon wollte ich ein Künstler sein und meine Ideen mit den Buchstaben tief ins Papier pressen, aber jedes Mal versteckten sich Bilder unter der Tinte, die meinen Gedanken widersprachen und nichts als unliebsame Kleckse in meinen Lautmalereien waren. Wenn ich unzufrieden mit mir war, sang ich und strich die Fenster oder öffnete sie, bis es im ganzen Hause zog wie in einer Wartehalle und ich mich in mein Bett legte, damit du mir ein Märchen vorlesen konntest. Es hat mir zwar immer geschmeckt, nur waren die Portionen zu klein oder der Magen zu groß, jedenfalls bin ich nie richtig satt geworden, bis auf den einen Tag, an dem ich die Zäune bemerkt habe, die mich in den Wahn der eigenen Schöpfung einkesselten, und die Laternen, die mich wie entseelte Fratzen meiner Außenspiegelung umringten. Seitdem weiß ich von meiner ewigen Passion und auch du sollst hiermit wissen, dass ich genau das Leben führen werde, das mir zusteht.

So endete der Brief. Ich habe diese Worte seit meinem plötzlichen Verschwinden damals nicht mehr gelesen; nur das Gefühl, das ich jetzt dabei verspüre, kommt mir bekannt vor, als wäre mir ein Bild aus einem längst vergangenen Traume wieder eingefallen, welches immer noch eine unverwechselbare Stimmung mit sich trägt. Beinahe hättest du mich wieder davon abgebracht fortzugehen, als du mich vom Dachfenster aus erblicktest, wie ich oben auf der Brücke stand und auf den Bus wartete, und als du klagtest, wie oft du schon heute an mich denken müssest. Aber dann hatte sich schon eine Wolke zwischen uns geschoben und ich war eingestiegen und hatte mir einen Platz in der oberen Etage ausgesucht, vom dem aus ich endlich den offenen Himmel und die Sonne sehen konnte.

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